Konzept der offenen Arbeit

 

Sag es mir und ich vergesse es,

zeig es mir und ich erinnere mich,

lass es mich tun und ich behalte es. - Konfuzius

 

Idee und Inhalte 

Dem Konzept der offenen Arbeit wurde Ende der 1970er Jahre immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Es entstand aus einer Basisbewegung kritischer praktizierender Pädagogen wie Gerhard Regel oder Jan Wieland. Sie waren mit den Strukturen der Erziehungseinrichtungen nicht mehr zufrieden. „Ausschlaggebend für diese Entwicklung war der gesellschaftliche Umbruch in Deutschland, der sich gegen autoritär geprägten Strukturen aus der Kriegs und Nachkriegszeit wehrte“ (Moser, 2011, 14). 

Ziel des Konzeptes ist es den Kindern bessere Entwicklungsbedingungen zu bieten. Sie erhalten durch die Öffnung der Stammgruppen, die Möglichkeit ihre Spielgruppen frei zu wählen und ihren Tagesablauf selbst zu gestalten. Es sollen mehr Bewegungs- und Entscheidungsräume für Kinder geschaffen werden. (Lill, 2015)

Es wird eine deutliche Steigerung des Engagements, der Begeisterung und der Spielfreude bei den Kindern festgestellt, sowie ein Anstieg der Aufmerksamkeit und Konzentration. Weithin ist erkennbar, dass die Kinder seltener Langeweile oder ein aggressives Verhalten aufzeigten. So wird deutlich, dass Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern zumindest teilweise durch ungeeignete Erziehungsmaßnahmen hausgemacht sind. Durch den erweiterten Spielraum verschwinden diese zum Großteil von alleine (Regel& Kühne, 2007, 12). Mit dieser Beobachtung wird fesgehalten, „[...] Kinder nicht an bestehende Strukturen anzupassen, sondern die Strukturen an die Bedürfnisse der Kinder“ (Regel& Kühne, 2007, 12). Dieser Strukturwandel ist Kern des Konzeptes und steigert das Wohlbefinden der Kinder.

Das zentrale Anliegen der offenen Arbeit, ist die Erfahrung persönlicher Eigenständigkeit und gemeinschaftlicher Verantwortung für Kinder und Erwachsene erlebbar zu machen (Lill, 2015). Mit den vorgesehenen Funktionsräumen, wie Bau-und Kreativräume, Bewegungsräume oder den Rollenspielräumen kann dieses zentrale Anliegen umgesetzt werden. Weiterhin steigern die Funktionsräume das kindliche Interesse an Beschäftigung und Wahrnehmung.  

„Im Offenen Kindergarten sind alle MitarbeiterInnen mitverantwortlich für den ganzen Kindergarten, auch wenn eine Arbeitsteilung stattfindet. Es gibt nicht mehr „meine“ und „deine“ Kinder und nicht mehr „meinen“ und „deinen“ Gruppenraum, sondern unsere Kinder und unser Haus für Kinder“ (Regel& Kühne, 2007, 29). 

Somit verändert sich die Erziehungsarbeit, die Grenzen werden gelockert. Auch flexibilisieren sich die Strukturen und alle Ressourcen wie Raum, Zeit, Kompetenzen und Geld werden gemeinsam genutzt (Lill, 2015). Bernd Neumeister fasst dies zusammen, in dem er sagt:“ Der offene Kindergarten ermöglicht Kindern und Erziehern unbelastet und ohne strenge Regeln miteinander umzugehen“ (Lill, 2015). Die offene Arbeit lebt von Veränderung, Konfrontation und Selbstreflexion.

Die vielfältigen Veränderungen des Konzeptes der offenen Arbeit sollen auch der Ausstoßung von Kindern mit Behinderung entgegenwirken. (Lill, 2015)

 

Die offene Arbeit und das Bild vom Menschen 

 

Jede pädagogische Arbeit basiert auf einem Bild vom Menschen. In der Anthropologie wurden diesbezüglich viele verschiedene Theorien und Paradigmen entwickelt. Dabei gibt es zwei verschiedene Grundannahmen zum Menschenbild. Einerseits wird der Menschen “…als einen auf objektiv gegebene Außenreize reagierenden Organismus…“ (“Behaviorales Modell“) betrachtet und auf der anderen Seite “…als aufgrund eigener Theorien handelnde Subjekt“ (“Reflexives Subjektmodell“) sieht“ (Wieland, 1993, 17). 

Das Konzept der offenen Arbeit orientiert sich an der zweiten Sichtweise, also an einem Menschenbild, welches das Kind gleichermaßen als „Baumeister seines Lebens“ (Montessori), als „Akteur seiner Entwicklung“ (Piaget) und als „Konstrukteur seiner Wirklichkeit“ (Reggio-Pädagogik) sieht (Regel 1993, 52ff.). In der pädagogischen Praxis wird daher verstärkt auf das Lernen durch Einsicht, partnerschaftliches Verhalten und Kooperationspflege gesetzt. Offene Kindergartenarbeit geht von einem Menschenbild aus, welches die Eigenständigkeit und Selbsttätigkeit des Kindes betont (Wieland, 1993, 22). 

Kinder sind keine Mängelwesen, sondern junge Menschen, die zur Kommunikation und Selbständigkeit fähig sind. Sie können als kleine wissensdurstige und aktive Wesen gesehen werden. Über Verstehen und Lernen finden die Kinder ihren eigenen Weg die Welt zu erleben. Diese werden durch verschiedene Impulse aus der Umwelt ständig erweitert und verändert. (Stiebler, 2013, 13) „Auf den Punkt gebracht sind Kinder kleine Menschen, mit allem ausgestattet, was sie zum Aufbau eines eigenständigen Lebens brauchen. Zugleich sind sie anhängig. Sie benötigen Halt, Freiheit, Anregungen und unsere Unterstützung, Förderung und Erziehung, um ihr Potential zu entfalten und in unsere Welt hinein zu wachsen“ (Regel& Kühne, 2007, 77).

In unserer pädagogischen Praxis soll dieses Bild vom Kind als Leitstruktur die Aktivitäten der ErzieherIn lenken. Dies bedeutet, dass sie SelbstgestalterIn ihrer Pädagogik ist. Dem Kind kann man nur einen eigenständigen und unabhängigen Entwicklungsweg ermöglichen, wenn mit diesem Selbstverständnis gearbeitet wird. (Stiebler, 2013, 13) Der Pädagoge hat die Aufgabe, Impulse zu setzen und dem einzelnen Kind Raum, Zeit und Ruhe zu geben, damit es sich selbst in seiner Individualität erleben kann. So werden Anpassungszwänge, Versagensängste und Rückzugstendenzen vermieden.

 

Die offene Arbeit und ihr Bildungsverständnis 

 

Bis zum Erwachsensein durchläuft ein Kind mehrere Bildungsstufen. Da die Kinder in der Kindertagesstätte noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen, bietet die Einrichtung ihre erste Stufe. Nach Paragraph 22 Absatz 2 Satz 1 und 2 im Sozial Gesetzbuch VIII stehen Kindertagespflege und Tageseinrichtungen für Kinder in der Pflicht „[…] die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit [zu] fördern [ zu I.K.]“ und „die Erziehung und Bildung in der Familie [zu I.K.] [zu] unterstützen und ergänzen […]“ (§22 Abs.2 Nr. 1 und 2 SGB VIII).  

Das Kind bildet aus seinen wechselseitigen und persönlichen Erfahrungen mit Menschen und Dingen sein Weltbild und seine Handlungskonzepte. Durch sein eigenes Handeln gewinnt es ein Bild von sich selbst, von anderen Menschen und von seinem Umfeld. Mit diesem Selbstbildungsprozess erfassen sie ein immer differenzierteres Bild. Jedoch kann den Kindern niemand diese geistigen Verarbeitungsprozesse abnehmen. (Kazemi- Veisari, 2002, 6)

In Einrichtungen, die dem Konzept der offenen Arbeit nachgehen, ist es Kindern möglich sich einmal selbst zu organisieren. Sie können Vorstellungen realisieren, die außerhalb der Einrichtung nicht zustande kommen sollen oder können: "Was möchte ich heute tun, mit wem möchte ich spielen?“ 

Es wird die Ansicht vertreten, dass Kinder geballte Kräfte in sich bergen, die der Selbstgestaltung ihrer eigenen Entwicklung förderlich sind. 

Von dieser Grundhaltung wird die tägliche Arbeit mit dem Kind geprägt. Somit sehen sich die PädagogInnen nicht als Animateure für die Kinder, sondern als ihre Begleiter. Mit der Eigenmotivation des Kindes, die sich über die verschiedenen Bildungsangebote in der Einrichtung entwickelt, kann das Kind selbst entscheiden wo und mit wem es spielen möchte. (Petri, n.d.)

„Dem Konzept der "Offenen Arbeit" liegt die Überzeugung zugrunde, dass Erwachsene auf die Entwicklungspotentiale von Kindern vertrauen können und diese in selbstinitiierten, selbstgesteuerten und selbstgeregelten Situationen optimale Lernvoraussetzungen für ihre persönlichen Entwicklungschancen finden können“ (Makalowski, 2010, 18).

Es ist ein forschendes und entdeckendes Lernen, ein selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Lernen, sowie ein Lernen in Form von Beispielen über Angebote am Modell vor allem aber ein Lernen in Spiel und Bewegung mit Lust, Freude und Begeisterung. (Regel& Kühne, 2007, 49)

Kindertagesstätten sind somit keine Orte, in denen richtige Verhaltensweisen gelernt werden, sondern sie sind als kleine Forschungsinstitute zu verstehen. Dort sollen sich die Kinder aufmerksam und mit allen Sinnen bemühen, ein eigenes Selbst- und Weltbild entstehen zu lassen. (Laewen, 2010, 50ff.)

 

Quellen 

 

Kazemi-Verisari, E. (2002). Wieso, Weshalb, Warum-Kinder sind nicht dumm! Kiga heute, 2002 (3), 6-12.

 

Laewen, H. (2010). Was Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen bedeuten können. In: B. Anders; H. Laewen (Hrsg.), Forscher, Künstler, Konstrukteure. Werkstattbuch zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. (S. 33-69). Weinheim, Berlin, Basel: Beltz Verlag.

 

Makalowski, J. (2010): Eine empirische Überprüfung des Handlungskonzeptes der offenen Kindergartenarbeit in der Praxis. Oldenburg: Diplomarbeit Universität Oldenburg.

 

Moser, S. (2011). Fakten, Fakten, Fakten. Offene Arbeit. Welt des Kindes. Die Fachzeitschrift für Kindertageseinrichtungen: Aktueller denn je? Offene Arbeit in der Kita, 2011 (5), 14-15. 

 

Regel, G. (1993). Bedürfnisorientierung- Geben und Nehmen in der Beziehung zu Kindern. In: G. Regel, A. Wieland (Hrsg.), Offener Kindergarten konkret. Veränderte Pädagogik in Kindergarten und Hort. (1. Auflage). (S. 50-90). Hamburg: E.B.-Verlag Rissen.  

 

Regel, G. & Kühne, T. (2007). Pädagogische Arbeit im Offenen Kindergarten. Freiburg im Breisgau: Herder.

 

Stiebler, K. (2013). Anforderungen offener Arbeit in Kindertageseinrichtungen bei der Gestalt partizipativer Prozesse. Kiel: Fachhochschule Kiel.  

 

Wieland, A. (1993). Menschenbild und Methodenkonzept der Handlungsforschung im Zusammenhang mit “offener“ Kindergartenarbeit. In: G. Regel; A. Wieland (Hrsg.), Offener Kindergarten konkret. Veränderte Pädagogik in Kindergarten und Hort. (1. Auflage), (S. 9-49). Hamburg: E.B.-Verlag Rissen. 

 

Internetquellen 

 

Lill, G. (2015).  Offene Arbeit - ein inklusives und partizipatives Konzept. Zugriff am 29.03.2017. Verfügbar unter https://www.erzieherin.de/offene-arbeit-ein-inklusives-und-partizipatives-konzept.html

 

Petri, M. (n.d). Offene Arbeit und Bildung. Zugriff am 16.05.2017 Verfügbar unter http://www.kindergartenpaedagogik.de/229.html